Korallenrot an der Wand

Ein Kunstprojekt Stefan Steiners in Bülach


Für die von den Zürcher Architekten Rudolf Moser und Andreas Galli geplante Erweiterung der Primarschulanlage Hohfuri in Bülach hat der Schweizer Künstler Stefan Steiner ein mehrteiliges Projekt realisiert. Das Wort "Korallenrot" leistet dabei die Verbindung von Architektur und Malerei.

Kunst am Bau ist ein Wort, das sowohl der Künstler wie die Architekten nicht mögen. Dabei hatte alles mit einem Wettbewerb für Kunst am Bau begonnen. Für die Erweiterung der Primarschulanlage Hohfuri in Bülach durch die beiden Zürcher Architekten Rudolf Moser und Andreas Galli wurde ein entsprechender Wettbewerb ausgeschrieben; die Jury hatte sich für das Projekt des in Köln lebenden Schweizer Künstlers Stefan Steiner entschieden. Der L-förmige Neubau, gebildet aus zwei rechtwinklig aneinandergeschobenen Baukörpern mit Pultdächern, präzisiert die räumliche Situation der bestehenden Anlage. Die Form des Rechtecks ist strukturbildend für die Fassaden im Äussern – grossformatige Eternitplatten in Petrolblau, langgezogene Fenster – und im Innern des Gebäudes, wo man auf nackten, skulpturalen Beton, helles Holz und dunkelgrüne Natursteinböden trifft. In dieses Gebäude setzt Stefan Steiner ein mehrteiliges Kunstprojekt, das primär auf die Architektur reagiert. Interessanterweise stellt Steiner die Verbindung zum Gebauten nicht primär über künstlerische Mittel – Malerei oder Skulptur – her, sondern über die Sprache, über ein einzelnes Wort.

Das Wort heisst Korallenrot und ist Buchstabe für Buchstabe in die elf Scheiben der Fensterfront beim Eingang eingeätzt worden. Wer das Haus betritt, geht durch das Rot. Dort trifft man auf eine 26 mal 7 Meter lange, rot bemalte Wand aus Sichtbeton.

Die Struktur der Schalbretter teilt das langgezogene Rechteck in kleinere Felder. Auf diesen Malgrund hat Stefan Steiner in mehreren Schichten Rottöne übereinandergemalt. Kreisförmig ineinandergreifende Linien in hellem Rosa verketten die rechteckigen Felder untereinander.

in Stefan Steiners Malerei sind öfters Bezüge zu einzelnen Wörtern, zur Sprache, zu Büchern auszumachen. In früheren Werken hat er sich von Wörtern wie "Moskitos" oder "Immergrün" inspirieren lassen, die seine Malweise formal strukturierten oder die Farbgebung beeinflussten. Für das Buchprojekt "Blaupause" hat er die Malerei gar vollständig durch Sätze mit Farbwörtern ersetzt. Auf seiner Suche nach einem Begriff für die Arbeit in Bülach wurde Stefan Steiner in Joseph Roths "Leviathan" fündig, aus dem er die Wortfolge "Korallenrot-Korallenroth" destillierte. Aus ihm stammen nicht nur die Farbe Rot für das Wandbild und die Buchstaben auf den elf Fensterscheiben, sondern auch die vielen kleinflächigen Malereien auf runder Fläche, von Steiner "Korallen" genannt, die sich in die beim Betonieren entstandenen Löcher in den Wänden placieren liessen. Zudem hat Stefan Steiner eine antiquarisch erstandene Erstausgabe des "Leviatan" in einem rot bemalten Schuber der Schulbibliothek hinterlassen.

Die Mehrteiligkeit der künstlerischen Arbeit ist ein Versuch, nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf die Funktion von Malerei in einem Gebäude zuzugehen. Mit der Semantik des Wortpaars "Korallenrot-Korallenroth" bieten sich Interpretationen an, auf die einzusteigen dem Betrachter nicht schwerfällt. In seiner visualisierten Umsetzung – in der Malerei des Wandbildes – kreuzen sich die verschiedenen gedanklichen Vorhaben zu einem einzigen verdichteten Konzept aus Raum und Zeit, Farbe und Form, expressivem Gestus und abstrakten visuellen Prozessen.

Sibylle Omlin, Zürich, August 1997


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